
Ein Abschnitt der Paracelsusstraße und der Dessauer Straße verbindet die Bundesstraße B100 mit der Volkmannstraße. Die Spitzenlast beträgt nach Angaben der Stadt über 4000 Fahrzeuge pro Stunde und der Schwerverkehrsanteil ist mit 8% angegeben.
Dieser Abschnitt hat einen Radweg, der (natürlich) benutzungspflichtig ist. Zumindest im Sommer und bei freiem Radweg.
Winterdienst
Halle hat für sich beschlossen, dass im Winter eigentlich niemand Rad fahren soll. Andere Verwaltungen wünschen vermutlich heimlich auch so was, aber Halle ist es nicht einmal peinlich, das zuzugeben.
Im Winter wird dieser Radweg nicht beräumt, und damit meine ich nicht: erst nach 07:30 oder mal am Wochenende nicht, sondern "nicht" heißt gar nicht, unter keinen Umständen. Im Winter 2016-2017 war der Radweg über weite Strecken mehr als eine Woche lang komplett von spiegelglattem Eis überzogen. Die Fahrbahn war natürlich sehr schnell beräumt.
Die Stadt Halle träumt sogar davon, bei Schnee und Glätte das Radfahren gänzlich unterbinden und abschaffen zu können. Rechtlich ist aber klar, dass dann die Fahrbahn zu benutzen ist, wenn der Radweg objektiv unbenutzbar ist. Auf Sag's uns einfach gibt es immer wieder Nachfragen unterschiedlicher Personen. Hier ist meine harmlose erste Nachfrage:
Nummer 342092316, Anfrage vom 18.01.2017, 09:15
Titel: Schnee/Eisglätte: ungeräumter Fahrradweg Paracelsusstraße Ort: Paracelsusstraße zwischen B100 und Wasserturm 06114 Halle (Saale), Stadt (Bemerkung: Halle)
Beschreibung: Laut StVO entfällt die gekennzeichnete Benutzungspflicht von Fahrradwegen, wenn diese stark verschmutzt oder verschneit sind. Damit ist die Fahrbahn zu benutzen. Das ist an den meisten Stellen in Halle auch kein Problem, auch weil im Winter weniger Fahrradfahrer unterwegs sind. An Stellen wie der Paracelsusstraße zwischen B100 und Wasserturm halte ich es aber für eine große Gefährdung des Radfahrers, auf der Fahrbahn zu fahren. Dort ist eine Beräumung des Radweges oder bei verschneiten Radwegen ein Tempolimit auf der Fahrbahn zur Gefahrenabwehr notwendig.
Status: Abgeschlossen
Antworten:
Antwort vom 19.01.2017 17:36: Nach einem festgelegte Streu- und Räumplan werden im Auftrag der Stadt eine Vielzahl von Straßen, einige Fußgängerbereiche und Fußgängerzonen winterdienstlich bearbeitet. Für die Gehwege besteht auf der Grundlage des Straßengesetzes eine Pflicht zum Winterdienst. Diese Winterdienstpflichten sind durch die jeweiligen Anlieger zu erbringen. Für Radwege besteht diese Pflicht zum Winterdienst nicht. Aus diesem Grund werden Radwege durch die Stadt nicht geräumt. Dies wäre darüber hinaus auch in vielen Fällen aus praktischen Gesichtspunkten nicht möglich. Wenn der Schnee von der Fahrbahn und von den Gehwegen geräumt ist, muss er wegen der oftmals schmalen Straßen in der Stadt auf den Radwegen abgelagert werden. Aus diesem Grund wird allen Radfahrern empfohlen, sich den winterlichen Bedingungen anzupassen und zugunsten der eigenen Sicherheit gegebenenfalls auf die Nutzung des Rades zu verzichten und alternative Beförderungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den ÖPNV, zu nutzen.
Mit freundlichen Grüßen Das Sag´s uns einfach-Team
Ich habe darauf hin noch mal alle verfügbaren Regelungen durchsucht, ob Städte einfach so Ausgangssperren für rothaarige Personen oder generelle Winterfahrverbote für Radfahrer aussprechen dürfen, aber beruhigenderweise nichts derartiges finden können.
Meine Nachfrage dazu wurde leider nicht veröffentlicht, hat aber eine sehr spannende Antwort erhalten.
Sehr geehrt____, unseren Ausführungen vom 19. Januar 2017 können wir noch Folgendes hinzufügen. Die Rechtsprechung hat nicht festgestellt, dass die Fahrbahn zu benutzen ist. Sie hat anerkannt, dass wenn die Benutzung eines benutzungspflichtigen Radweges wegen seiner Beschaffenheit oder seines Zustandes (tiefer Schnee, Eis) für den Radfahrer objektiv nicht möglich oder zumutbar ist, keine Benutzungspflicht besteht. Es genügt jedoch nicht, wenn der Radfahrer eine Nutzung des Radweges subjektiv unzumutbar empfindet, z. B. weil er nicht mit der gewünschten Geschwindigkeit fahren kann. Gemäß § 3 Abs. 1 StVO ist die Geschwindigkeit insbesondere den Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften von Fahrzeugen anzupassen. Zudem erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Auch Radfahrer müssen sich in jeder Situation darüber klar werden, ob ihr Verhalten in diesem Zeitpunkt nach vernünftiger Auffassung die nach den Umständen mögliche Sicherheit für die anderen und sich selbst gewährleistet. Es ist auch aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, die Radwege in der Stadt Halle (Saale) zu räumen und zu streuen. Auch käme hier der Gleichbehandlungsgrundsatz zum Tragen - wird ein Radweg geräumt, müssen alle geräumt werden. Im Übrigen verweisen wir auf unsere Antwort vom 19.01.2017 und bitten um Ihr Verständnis. Mit freundlichen Grüßen Das Sag´s uns einfach-Team
Also: Straßen werden selektiv beräumt, aber laut Gleichbehandlungsgrundsatz dürfen Radwege nicht unterschiedlich geräumt werden?!? Oha.
Noch viel spannender ist: Die Benutzungspflicht entfällt, so viel wird immerhin eingestanden. Wenn aber keine Benutzungspflicht besteht, und ausdrücklich auch nicht der Fußweg benutzt werden darf (so viel ist schon ewig eindeutig klargestellt), und es kein Winterfahrverbot gibt (zumindest keines, das ich finden konnte), dann ist doch eindeutig klargestellt, dass nur noch die Fahrbahn bleibt. Natürlich ist der Radfahrer nicht gezwungen, die Fahrbahn zu benutzen. Er kann auch nach Hause zurück gehen oder plötzlich beschließen, lieber ganz woanders hin zu wollen, wir sind schließlich ein freier Staat. Oder er verkauft sein Rad und kauft sich ein ordentliches Auto oder so.
Aber laut Halle besagt die Rechtssprechung nicht, dass die Fahrbahn zu benutzen ist. Das muss man logisch erst mal schaffen, in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen unterzubringen.
Nun ist die eine Auskunft des einen Ansprechteams nicht überzubewerten. Deshalb habe ich noch mal den Dialog mit dem Runden Tisch Radverkehr gesucht und mehrfach geradezu penetrant ausdrücklich betont, dass es um einzelne gefährliche Straßenzüge geht, und nicht um das ganze Radwegenetz von Halle oder um große Teile davon, und ausdrücklich auf die Paracelsusstraße verwiesen. Die Kröllwitzer Straße wurde dabei auch angesprochen, da es dort ziemlich erfolgreiche Radfahrerfallen gibt.
Der Radverkehrsbeauftragte hat sich mit der Anfrage an die zuständige Stelle der Stadt gewandt.
Die Antwort ist folgende:
Die Texte liefern folgendes Gesamtbild:
- Halle ist offenbar einem ganz besonders schwierigem Klima ausgesetzt, so dass es hier im Gegensatz zu den anderen Großstädten physikalisch und technisch gar nicht möglich ist, wenigstens einzelne Radwege befahrbar zu halten. Das ist um so erstaunlicher, als dass Halle geradezu legendär niederschlagsarm ist. Die Niederschläge, die fallen, sind hier offenbar ganz besonders unräumbar.
- Die Stadtverwaltung von Halle ist gedanklich nicht in der Lage, zwischen den Radwegen von verschieden gefährlichen Straßen zu unterscheiden. Wenn man einen Radweg beräumt, muss man offenbar gleich alle Radwege beräumen. Das ist besonders komisch, weil bei den Fahrbahnen auch nur die wichtigsten beräumt werden. Dass es an vielen Stellen überhaupt kein Problem darstellt, wenn bei einem verschneiten Radweg wie vorgeschrieben die Fahrbahn benutzt wird (von rechtswidrig aggressiven Autofahrern abgesehen, die eigentlich wegen Nötigung belangt werden müssten), ist offenbar so kompliziert zu verstehen, dass es die zuständigen Stellen massiv überfordert.